Eigentlich erstaunlich, aber es funktioniert immer wieder: Sobald ich im Zug Richtung Berge sitze, spätestens aber wenn die Berge in Sicht kommen, bin ich im Urlaubsmodus. Und sei es nur für einen Tag.
Einer der größten Vorteile an München ist es, dass man in einer Stunde in den Bergen ist. Dieser Vorteil war mir anfangs gar nicht bewusst. 2006 bin ich aus beruflichen Gründen von NRW nach München gezogen. Dass es gerade München wurde, war reiner Zufall und wurde von mir eher zähneknirschend in Kauf genommen. Nach einem Jahr bin ich wieder weg, dachte ich. Im ersten Jahr bin ich ein, zwei Mal in die Berge gefahren und fand das ganz nett. Ich bin schon seit meiner Kindheit immer mal wieder gewandert, meistens auch gerne, aber es war eher etwas Besonderes, was man vielleicht ein paar Mal im Jahr macht.
Aus dem einen Jahr in München wurden zwei, drei, inzwischen über zehn Jahre. Das lag allerdings nicht an den nahen Bergen (obwohl ich dort bei einer Wanderung meinen Mann kennengelernt habe, aber das ist eine andere Geschichte). Ungefähr im Jahr 2008 hat mich das Wanderfieber richtig gepackt. Einen konkreten Anlass dafür kann ich gar nicht nennen. Irgendwann hat es mich einfach raus gezogen. Als ich einmal realisiert hatte, dass Wandern nicht schwer ist und man mit ein bisschen Training auch größere Touren meistern kann, ließ es mich nicht mehr los. Wandern wurde ein Teil meines Alltags. Jahrelang war es ein Ritual: Ab Mittwoch, Donnerstag Wetterbericht fürs Wochenende checken, Tour raussuchen, bei einigermaßen akzeptablem Wetter Sonntags früh mit dem Zug raus in die Berge. Bayerische Voralpen, Karwendel, Wetterstein, Chiemgau, Kaisergebirge, Ammergauer Alpen, ein paar Mal für eine Mehrtagestour in die Berchtesgadener Alpen. Meist um die tausend Höhenmeter. Fast immer mit öffentlichen Verkehrsmitteln, was für mich gegenüber der Anreise mit dem Auto die eindeutig entspanntere Variante darstellt.
Über den Wolken
Muss die Freiheit wohl grenzenlos sein
Alle Ängste, alle Sorgen
Sagt man
Blieben darunter verborgen
Und dann
Würde was uns groß und wichtig erscheint
Plötzlich nichtig und kleinReinhard Mey
Jeder kennt den Ohrwurm von Reinhard Mey. Genauso geht es mir beim Wandern: Vieles, was mir zuhause so wichtig erschien, scheinbar unlösbare Probleme, schwierige Entscheidungen oder etwas, über dass ich mich maßlos geärgert habe, wird plötzlich einfach klein. Nicht unbedingt unwichtig. Aber es schrumpft auf eine angemessene Größe zurück und ich denke: „Darüber habe ich mir so einen Kopf gemacht? Soo wichtig, soo schlimm ist es nun wirklich nicht.“ Zuversicht und Gelassenheit stellen sich fast automatisch ein. Angesichts der majestätischen Natur werden viele vermeintlichen Probleme ganz schnell zu Problemchen. Das funktioniert umso besser, wenn ich wirklich über den Wolken oder zumindest hoch über dem Tal bin. Indem ich die Berge hoch gehe, komme ich also im übertragenen Sinne runter. Zwar wandere ich auch gern im Flachland oder Mittelgebirge, aber der weite Blick von oben und die schmalen Pfade, wo man manchmal sogar die Hände zu Hilfe nehmen muss, gefallen mir am besten. Berge machen mir noch deutlicher klar, wie klein wir Menschen sind im Angesicht der Natur.
Der Berg war lange vor mir da, und wenn ich nicht mehr bin, wird er immer noch da sein. Ob ein paar Menschen auf ihm rumklettern, kümmert ihn nicht. Kurz: Die Natur interessiert sich nicht für uns. Den Bergen ist es egal, wer ich bin und was ich mache. Es gibt dazu ein schönes Zitat:
Wir sind so gern in der freien Natur, weil diese keine Meinung über uns hat.
Friedrich Wilhelm Nietzsche
(Reinhard Mey und Friedrich Nietzsche in ein und demselbem Blogpost unterbringen, das muss man auch erstmal hinbekommen, oder?)
Wie lange hält die Wirkung einer Wanderung an? Auf jeden Fall für den Rest des Tages. Ist es nicht ein herrliches Gefühl, nach einer anstrengenden Wanderung, bei der man sich körperlich verausgabt hat, abends auf dem Sofa zu lümmeln? Mit dem guten Gewissen, sich das wirklich verdient zu haben? Aber es ist nicht nur der körperliche Aspekt. Beim Wandern schöpfe ich Ruhe und Kraft und kann „die Batterien aufladen“. Am nächsten Tag kann die Wirkung zwar schnell wieder weg sein, wenn etwas Stressiges passiert. Aber dennoch fühle ich mich – körperlich und seelisch – gestärkt für die neue Woche.
Zurzeit sind die Wanderungen weniger geworden. Grund ist unsere kleine Tochter, mit der Wanderungen zwar auch großen Spaß machen, aber eine größere logistische Herausforderung darstellen und natürlich ganz anders gestaltet werden müssen als „Alleingänge“. Deshalb muss ich manchmal ohne Kind raus in die Berge, alleine oder zu zweit. Eines aber funktioniert immer, egal ob eine große oder eine kleine Tour bevorsteht: Berge in Sicht – Urlaub beginnt. Auch wenn ich weiß, dass ich noch am gleichen Tag wieder zurück nach Hause fahren werde.
Dies ist ein Beitrag zur Blogparade „Wandern ist für mich…“ , zu der Elke von Fotografische Reisen und Wanderungen aufgerufen hat.
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